Synagogenbau und liturgisches Gerät

Synagogenbau und liturgisches Gerät
Synagogenbau und liturgisches Gerät
 
Als die Römer 70 n. Chr. den Tempel in Jerusalem zerstörten, hatte sich der antike Synagogenbau bereits entwickelt; er war demnach kein Ersatz für den Tempel mit seinem Opferkult, sondern diente anderen Zwecken: dem Gebet, der Lehre, der Versammlung und zuweilen auch Gerichtsverfahren, vor allem in kleineren Orten, wo eigene Gerichtsgebäude oder Lehrhäuser fehlten.
 
Der früheste, in Ruinen erhaltene Bau (1. Jahrhundert v. Chr.) wurde auf der griechischen Insel Delos ausgegraben; aber auch die Synagogen in Gamla in Nordisrael oder Masada und Herodion (bei Bethlehem) entstanden in der Zeit vor der Tempelzerstörung. Ihre Architektur war recht schlicht: einfache Saalbauten oder Räume, die durch zwei Säulenreihen unterteilt waren. Nach der Zerstörung des Tempels und vor allem nach dem Bar-Kochba-Aufstand (132-135 n. Chr.), der mit sehr restriktiven Maßnahmen des römischen Kaisers Hadrian gegen die Juden endete (etwa dem Verbot des Zutritts zur Stadt Jerusalem), verlagerte sich die jüdische Bevölkerung in den Norden des Landes, wo sich neue Zentren für Lehre, Gerichtsbarkeit und Gebet bildeten. Da der Tempel zerstört und damit der Opferkult beendet war, erhielt die Synagoge als Stätte des Gebets und des Gottesdienstes neues Gewicht.
 
Die meisten der nun im Norden errichteten Synagogenbauten gehörten einem einzigen Typus an: Sie besaßen Säulenreihen an drei Seiten oder waren dreischiffig. Mit ihrer Schmalseite waren sie nach Süden (nach Jerusalem) orientiert. Da diese Südwand in den Bauten des 2. bis 4. Jahrhunderts n. Chr. durch Portale geöffnet war, konnte sie noch keinen festen Platz für den Thoraschrein (Aron ha-kodesch) anbieten. Dies wurde offensichtlich schon damals als ein Mangel empfunden. Denn da der Gläubige sich im Gebet Jerusalem (und dort dem Tempelplatz) zuwenden soll, benötigt er auch eine im Raum erkennbare Gebetsrichtung, die durch den Standort des Thoraschreins vorgegeben ist. Daher suchte man etwa seit dem 4. Jahrhundert nach Lösungen, die diesem Bedürfnis entgegenkamen. Nach einer Phase des Experimentierens mit Querhaustypen und ersten Ansätzen zur Fixierung des Thoraschreins entstand dann im 5. und 6. Jahrhundert ein neuer Typus: Man verwendete wieder ein Langhaus; dieses wurde aber gedreht, sodass nun die Eingänge im Norden lagen, womit die nach Jerusalem weisende Südseite eine Nische für den Thoraschrein erhalten konnte - vergleichbar etwa einer Kirchenapsis.
 
Der Thoraschrein enthält die Thorarollen, die zur Vorlesung herausgenommen und auf ein Lesepult, die Bimah, gelegt werden. In der Antike und Spätantike hatte die Bimah noch keinen festen Platz im Raum, sondern wurde neben den Thoraschrein oder weiter in den Raum hinein gestellt, wie es steinerne Unterbauten bezeugen (zum Beispiel in Beth-Alpha neben der ersten Stütze im Mittelschiff des dreischiffigen Raumes). Da antikes Mobiliar nicht erhalten ist, sind in Fragen der Ausstattung der Synagogen vor allem die Fußbodenmosaike von Bedeutung, die für die Synagogen der Spätantike und der frühbyzantinischen Zeit charakteristisch sind. Meist bieten sie Darstellungen von Thoraschreinen zwischen Leuchtern, zuweilen sind auch figürliche Szenen (König David mit der Harfe in Gaza, Isaakopfer in Beth-Alpha) oder Themen zum Zeitablauf (Tierkreis) oder zur Hoffnung auf die messianische Zeit beziehungsweise auf das Paradies dargestellt. Diese Bodenmosaike finden sich mit wechselndem Themenkatalog in allen spätantiken Synagogen.
 
Antike Synagogen gab es nicht nur im damaligen Palästina und im Gebiet des heutigen Staates Israel; sie wurden vielmehr in all jenen Ländern errichtet, in die die Juden, vor allem nach den Kriegen gegen die Römer, auswanderten. Synagogenruinen wurden daher in fast allen Mittelmeerländern entdeckt, die einst Provinzen des Römischen Reichs waren - so in der Türkei, Griechenland, Italien und Tunesien. Ihr Raumkonzept variiert zwischen dem Saalbau - etwa in Hammam Lif (Tunesien) - und mehrschiffigen Langhäusern. Die aus der Zeit seit dem 4. Jahrhundert stammenden Synagogen besaßen wie im Ursprungsland Bodenmosaike unterschiedlichen Inhalts, unter anderem mit Darstellungen zur Erwartung der messianischen Zeit wie in Hammam Lif oder mit völlig neutralem Dekor wie auf der griechischen Insel Ägina. In Dura-Europos am Euphrat wurde darüber hinaus eine Synagoge ausgegraben, die trotz ihrer frühen Datierung in das 3. Jahrhundert schon eine feste Thoranische (an der nach Jerusalem zeigenden Westwand) und als bisher einzig entdeckte einen reichen Freskenzyklus zu biblischen Themen aufwies.
 
Aus den Jahrhunderten von der Spätantike bis zum Mittelalter sind keine Synagogenbauten erhalten. Dies mag bedingt sein durch die Wirren der Völkerwanderungszeit, die Entstehung neuer Herrschaftsbereiche in Ost und West und in den Ländern nördlich der Alpen, wo sich Juden seit dem frühen Mittelalter immer häufiger niederließen. Da die Bautradition der Spätantike im 6./7. Jahrhundert abriss, entstanden neue Konzepte, die jedoch nicht in allen europäischen Ländern nachzuvollziehen sind. Denn die Vertreibung der Juden aus England im 13. und aus Frankreich im 14. Jahrhundert hatte dort die Zerstörung der Synagogenbauten zur Folge. Auch in Italien sind mittelalterliche Bauten wegen der Ghettobildungen und der Ausweisungen aus den südlichen Provinzen im Verlauf des 16. Jahrhundert verloren gegangen. Deswegen lassen sich die noch vorhandenen Synagogenbauten zwei unterschiedlichen Traditionen zuordnen: der sephardischen auf der iberischen Halbinsel und der aschkenasischen in Mittel- und Osteuropa.
 
In Spanien sind von den ursprünglich mehr als 100 Bauten nur noch wenige erhalten, die alle in die Zeit nach 1200 gehören. Die Bauten im Süden des Landes waren bereits zur Zeit des Kalifats von Córdoba im 11. und 12. Jahrhundert durch die anstürmenden Berberstämme zerstört worden. Im Norden Spaniens führte die zunehmende antijüdische Haltung der Christen, die im Zuge der Reconquista nach Süden vordrangen, 1391 zu einer größeren Vertreibung und 1492 zur endgültigen Ausweisung; die damals aufgegebenen Synagogen wurden entweder zerstört, als Kirchen umgebaut oder für andere Zwecke genutzt. Die heute noch stehenden Synagogen in Spanien lassen unterschiedliche Typen, darunter mehrschiffige Räume und Saalbauten, erkennen. Die später in die Kirche Santa María la Blanca umgewandelte, besonders große Synagoge in Toledo (um 1200) besitzt fünf Schiffe mit islamischen Hufeisenbogenarkaden und feinen Stuckaturen. Dem gleichen Typus folgt die kleinere, dreischiffige Synagoge in Segovia (vermutlich aus dem 13. Jahrhundert). Ob diese Bauten Frauenräume besaßen, ist ungewiss, da der Umbau in Kirchen - etwa auch der dreischiffigen Synagoge in Sevilla - die Räume stark veränderte. Auffälligerweise entstanden Saalbauten erst im 14. Jahrhundert, so die kleine Synagoge in Córdoba von 1315 und die zweite in Toledo (El Tránsito) aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Beide besitzen Frauenräume oberhalb des Eingangstraktes im Süden; trotz ihrer relativ späten Datierung ist ihr Dekor noch immer von der spanisch-islamischen Kunst abhängig. Einige Bauten, etwa in Tomar (Portugal), in Bembibre oder Cáceres, lassen sich keinem bestimmten Typus zuweisen, da die Vergleichsbeispiele fehlen.
 
Die frühesten Synagogen des aschkenasischen Raums stehen in Deutschland. Mit dem zweischiffigen Bau und dem Saalbau bildeten sich hier zwei Typen aus, die gleichzeitig nebeneinander ohne regionale Bindung existierten, wie die Beispiele Speyer (Saalbau) und Worms (zweischiffige Anlage) zeigen. Die Wormser Synagoge mit ihrem Männerraum von 1174/75 ist die früheste des zweischiffigen Typus. Zwei große Säulen, die das romanische Kreuzgratgewölbe stützen, unterteilen den Raum und nehmen die Bimah in der Mittelachse zwischen sich: Im aschkenasischen Raum stand das Vorlesepult nämlich bis zum frühen 19. Jahrhundert immer in der Raummitte - eine Stellung, die nicht für alle Bauten in Spanien überliefert ist. Zu dem zweischiffigen Typus gehörte ferner die 1519 zerstörte Synagoge in Regensburg und die erhaltenen Bauten in Prag und Krakau. Die Prager Altneuschul (um 1300) übernahm das Wormser Schema, folgte aber stilistisch - wie auch die spätere Synagoge in Krakau - der Gotik. Die daneben bestehenden Saalbauten waren kleiner, zum Teil flach gedeckt (etwa in Rufach im Elsass) oder eingewölbt (zum Beispiel in Miltenberg). Der Außenbau der mittelalterlichen Synagogen folgte nicht dem Kirchenbau, sondern war vom Profanbau abhängig. Während des Mittelalters kannte die aschkenasische Tradition auch noch keine Frauenemporen, sondern nur ebenerdige Anbauten.
 
Von den Originaleinbauten von Thoraschrein und Bimah ist aus Spanien nichts, aus Mittel- und Osteuropa nur wenig erhalten, sodass sich unsere Kenntnis vom Inventar vorrangig auf mittelalterliche Miniaturen stützen muss. Die Inneneinrichtung der Synagoge konzentrierte sich neben den Sitzbänken beziehungsweise der Bestuhlung auf die Bimah und den Thoraschrein. Auf dem Lesepult lag eine Decke, in der Regel aus Samt; der Thoraschrein besaß einen Thoravorhang, der meist davor gehängt war, sich zuweilen aber auch im Innern hinter der Tür des Thoraschreins befand. Die Thorarolle im Thoraschrein, von dem es in der Synagoge immer mehrere gibt, war mit einem Thoramantel umhüllt und mit silbernen Gerätschaften geschmückt. Der Thoraschmuck bestand somit aus zwei Materialien: Textilien (Vorhang, Thoramantel und Pultdecke) und oft aus Silber gefertigten Metallarbeiten (Thoraschild, Thorazeiger, Thorakrone und die Rimmonim, die beiden Aufsätze auf den Holzstäben der aufgewickelten Thorarolle). Neben diesem Thoraschmuck existierten Beleuchtungskörper, das Ewige Licht, das in der Tradition des immer brennenden Leuchters im Tempel steht, daneben weitere Leuchter oder Lampen.
 
Aus der Antike und auch dem Mittelalter sind solche Gerätschaften kaum erhalten; man kann sich dies wohl mit der leichten Zerfallbarkeit der Stoffe und mit der Tatsache erklären, dass Metalle häufig eingeschmolzen wurden. Nur ein Paar silberner Rimmonim aus Sizilien aus dem 15. Jahrhundert existieren noch. Doch lassen mittelalterliche Miniaturen erkennen, dass auch damals verschiedenfarbige Thoramäntel und der Silberschmuck üblich waren, deren früheste Beispiele jedoch erst aus dem 16. und 17. Jahrhundert erhalten sind. Reiche Symbolik entfaltete sich vor allem auf dem Thoravorhang und dem Thoraschild, deren Fläche sich zu einer künstlerischen Komposition besonders gut eignete. Die verwendeten Symbole entstammten entweder dem Tempelkult oder der allgemeinen jüdischen Symbolik: Zu ersterem gehören die beiden Säulen Jachin und Boas, die ursprünglich vor der Vorhalle des Salomonischen Tempels in Jerusalem standen, oder Tempelgeräte wie Altäre, Schaubrottisch oder Leuchter; zu letzterem zählt die Krone der Thora, die Kronen für Priestertum und Königtum, das Löwenpaar als Wächter der Thora oder die Gesetzestafeln als Zeichen für das »Gesetz«, die Thora. Die rundansichtigen Kronen und Rimmonim sind dagegen in der Regel zwar reich gestaltet, doch arm an Symbolik.
 
Gemäß dem Erhaltungszustand der Objekte lässt sich eine Entwicklung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ablesen. Während die Vorhänge und der Silberschmuck im 16. Jahrhundert noch recht schlicht gestaltet waren, trat im 17. Jahrhundert eine reiche Symbolik auf, die im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Dabei entwickelten sich stereotype Kompositionen wie zum Beispiel der Säulenvorhang, der die Gestaltung der Vorhänge im aschkenasischen Raum bestimmte und auch auf die flächigen Thoraschilder übertragen wurde, sowie auch eigenwillige Dekorationen, wobei die Symbole austauschbar und ersetzbar waren. Während im aschkenasischen Raum für den oberen Abschluss der Thorarolle entweder Krone oder Rimmonim üblich waren, hat man sie in Italien miteinander verbunden. Lokale Eigenheiten zeigen auch die Objekte aus Osteuropa.
 
Prof. Dr. Hannelore Künzl
 
 
Künzl, Hannelore: Jüdische Kunst. Von der biblischen Zeit bis in die Gegenwart. München 1992.

Universal-Lexikon. 2012.

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